Ist die Messenger-App Telegram tatsächlich so vorbildlich?
Die Messenger-App Telegram steht die im Ruf, schnell, anonym und sicher zu sein. Telegram soll Datenschutz in Reinkultur bieten.
Doch auch Zweifel werden laut: Wer eine dermaßen vor Nachforschungen sichere Kommunikationsplattform zur Verfügung stellt, wie die russischen App-Entwickler Nikolai und Pawel Durow, öffnet der dann nicht auch die Tür zur Illegalität? Deshalb machen immer mehr Medien Telegram zum Thema ihrer Recherchen. Kritiker bezeichnen ihre Befürchtung als „Darknet to go“, wenn sie von ihren Recherchen berichten. Was ist an den Behauptungen dran?
Offenbar bereits 400 Millionen User
Laut eigenen Angaben laden täglich über eine Million Handynutzer die App weltweit herunter. Das summiert sich laut Telegram-Angaben auf derzeit über 400 Millionen Teilnehmer. Wenn man sich für das smarte Konkurrenzprodukt zu WhatsApp interessiert, aber erst einmal auf Wikipedia informieren möchte, könnten sich in der Tat Unmutsgefühle einstellen: Wegen der Sicherheit dieses Messenger-Dienstes, ist dort zu lesen, würde Telegram nicht nur von politischen Aktivisten, sondern auch von Terroristen, Extremisten und Verbreitern von Kinderpornographie genutzt. Wenn Fälle bekannt werden, würde häufig der Name der App fallen – effektvolle Gratiswerbung, die international wahrgenommen wird, und auf dem eigentlich positiven Wert der sicheren Anwendung beruht. Schließlich kann ja die App nichts dafür, wenn sie in falsche Hände gerät. Was leider so geschah, als Twitter vor einigen Jahren IS-Aktivitäten löschte – um damit Gutes zu tun. Das führte lediglich dazu, dass die Truppenwerber des Heiligen Islam einfach auf Telegram wechselten.
Top Verschlüsselung und garantierte Anonymität?
Was macht die App aus Datenschutzsicht so besonders im Vergleich zu anderen Anwendungen mit massenhaft Nutzern? Der Webauftritt der Betreiber verrät kaum etwas. Man erfährt, dass Telegram erheblich sicherer als herkömmliche Messenger wie WhatsApp ist, da ein besonders zugriffssicheres Verschlüsselungsverfahren eingesetzt wird. Man kann mit der App beispielsweise geheime Chats mit einer Ende-zu-Ende-Verschlüsselung führen – wie unter Regierungschefs oder Konzernmanagern üblich. Oder Terrorfürsten und Drogenbaronen. Auf dem Übermittlungsweg lassen sich Nachrichten nicht von Dritten abfangen. Die Daten werden nicht auf den Endgeräten der Nutzer abgespeichert, sondern in einer zentralen Cloud des Anbieters. So lässt sich die App leicht auf mehreren Geräten gleichzeitig nutzen. Über öffentliche Kanäle können viele Teilnehmer auf einmal angesprochen werden – wie im Fall der weißrussischen Demonstranten. Daneben können mit Telegram wie bei WhatsApp Gruppen gegründet werden. In diesen Gruppen ist nicht nur ein komfortabler Datenaustausch möglich – man kann ihnen sogar anonym beitreten. Dazu wählt man einfach einen beliebigen Nutzernamen aus, der – anders als bei WhatsApp – nicht auf eine Mobilfunknummer zurückgeführt werden kann. Wurden brisante Filme von Lukaschenkos Schergen im Westen publik, entsprangen diese in vielen Fälle simplen Weiterleitungen innerhalb Telegrams.
Kaum missbräuchliche Nutzung feststellbar
Vor allem im direkten Vergleich zur oft bemängelten Meesenger-Lösung WhatsApp scheint Telegram also tatsächlich die bessere Alternative aus Datenschutzsicht zu sein. So erklären die Telegram-Macher ausdrücklich, dass sie die private Konversation über die App vor Dritten schützen. Kein Wunder, dass russische Sicherheitsdienste nicht gut auf die Durow-Brüder zu sprechen sind. Aber hier greift der Spruch: Wie man’s macht, so macht man’s verkehrt. Denn die Kehrseite dieses Sicherheitsversprechens sieht so aus: Hetze, Mordaufrufe, Hinrichtungsvideos und weiteres heikles Material werden auf Telegram so gut wie nicht gelöscht. Sie können in diesem Kommunikations-Dienst in konspirativen Zirkeln verteilt werden, in die kein Außenstehender einzudringen vermag – auch die Betreiber nicht. Während etwa Facebook und Twitter mittlerweile eine stellenweise rigide Kontrolle über Inhalte ausüben, bleiben anonyme Nutzer auf der Plattform Telegram ungestört von Ermittlern. Zieht man ein Fazit, so steht fest: Telegram nimmt den Datenschutz so ernst, wie man es sich auch von anderen Messangern wünschen müsste. Anonymität ist im unsicheren digitalen Zeitalter ein Massenbedürfnis. Schließlich steuert die Anwenderzahl von Telegram beharrlich auf die halbe Milliarde zu. Bleibt zu vermuten, dass eine zu strikte Überwachung und datenschutzrechtliche Überwachung digitaler Kanäle ein echtes Problem für demokratische Prozesse und ernster zu nehmen ist, als ein gelegentlicher Missbrauch durch einzelne Nutzer.
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